Bild: CC-BY-ND 2.0 Laurensea

Von Alexander Sängerlaub – Fake News: Es ist kompliziert (Netzpolitik.org, 23.08.2017)


Die einen stilisieren sie als entscheidendes Zünglein im amerikanischen Wahlkampf, die anderen weisen darauf hin, dass Propaganda und Desinformation keine neuen Phänomene sind. „Neu“ seien höchstens die Kanäle: wie Facebook und Twitter. „Es ist kompliziert“ – wäre wohl dementsprechend der passende Facebook-Beziehungsstatus, auch was die Frage letztlich nach der Wirkung betrifft. So gehen die beiden Wissenschaftler Hunt Allcott (New York University) und Matthew Gentzkow (Stanford) eher von einer zu vernachlässigenden Wirkung von Fake News im komplexen Gebilde „Wahlentscheidung“ aus, während das Team um Yochai Benkler (MIT und Harvard) zurecht darauf hinweist, dass das amerikanische rechte Nachrichtennetzwerk um Breitbart und Co. sehr erfolgreich darin war, die Themenagenda der „Mainstream-Medien“ mitzubestimmen, sodass gewisse Debatten um Desinformation allgegenwärtig waren. Und der ein oder andere politische Beobachter sieht derzeit die problematischste Quelle für Fake News im Weißen Haus sitzen und twittern.

Amerikanische Verhältnisse

Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, befürchtet etwa jeder dritte Deutsche, dass Fake News einen starken Einfluss auch auf die Wahl hierzulande haben werden – jeder Zweite hält sie sogar für ein großes Problem, sagen uns die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen, erhoben für das ZDF, aus dem Mai. Doch herrschen bei uns schon „amerikanische Verhältnisse“?

Der differenzierte Blick in die Logik des amerikanischen und deutschen Politik- wie Mediensystems lässt hierzulande weniger Schlimmes befürchten: Die Deutschen haben mehr Vertrauen in „die Medien“, vor allem in die Öffentlich-Rechtlichen und nutzen weitaus seltener Social Media als Nachrichtenquelle, im Vergleich zu den Amerikanern. Und auch die politische Landschaft ist weniger polarisiert und zerrüttet. Während in den USA das Wertegerüst von Hillary Clinton und Donald Trump ungefähr so weit auseinanderliegt wie Anchorage in Alaska und Miami in Florida, scheint sich der deutsche Bundestagswahlkampf höchstens um die Frage zu drehen, welche Partei mit Angela Merkel nach der Wahl koalieren darf.

Weiter ist anzunehmen, dass auch in diesem Wahlkampf die wichtigste Informationsquelle der Deutschen das Fernsehen bleibt, in dem ARD und ZDF – laut Rundfunkstaatsvertrag – sich pluralistisch und ausgewogen der Meinungsvielfalt zu widmen haben. Das steht wiederum diametral der Medienlogik von FOX News oder Breitbart gegenüber.

Die Reise der Fake News

Was nun, dem geringeren Nährboden zum Trotz, genau hierzulande als „Fake News“ durchs Netz geistert, sollten wir uns trotzdem genauer anschauen um herauszufinden, wer Fake News in die Welt setzt, wie sie ihren Weg über Social Media ggf. sogar in die Medienöffentlichkeit finden und was das Debunking (zu deutsch: Entzaubern) der großen Medien, wie des Faktenfinders der Tagesschau, bringt.

Dafür haben wir eine eigene Methodik entwickelt und begonnen, die Verbreitung einzelner Falschnachrichten in der Online-Öffentlichkeit analysieren. Als Grundlage dient dafür das Monitoring-Tool des Kölner Medienbeobachters Unicepta, das nicht nur einen Medienkanal erfasst, sondern die Daten von Facebook, Twitter, YouTube, Online-Nachrichtenseiten, Foren und Blogs zusammenführt und analysiert.

In einem ersten Testcase haben wir uns die Fake News um die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, angeschaut und ihre Reise durch die Online-Öffentlichkeit nachkonstruiert. Anlass war ihre Rede auf dem Kirchentag in Berlin, in der Käßmann sich der Familienpolitik der AfD annahm und deren Parteiprogramm kritisierte. Laut diesem sollen sich vor allem „Biodeutsche“ vermehren, was Käßmann an den kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten erinnerte. In diesem Zusammenhang fiel Margot Käßmanns Zitat: „Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern, und da weiß man, woher der braune Wind dann wirklich weht.”.

„Sharepic“ der AfD

Daraus machte die Epoch Times Deutschland, eine dem rechten Spektrum zuzuordnende Online-Zeitung: „Margot Käßmann bezeichnet Bundesbürger mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern als Nazis“ und erreichte damit ihre Leserschaft, die das dekontextualisierte Zitat erfolgreich weitertrug, sodass der Artikel das höchste „Engagement“ (also die Summe aus Shares, Likes und Comments) in Social Media (Twitter & Facebook) auslöste.

Die AfD und ihre Parteianhänger teilten währenddessen ein Meme auf Facebook, auf dem zu lesen ist “Margot Käßmann: Wo Deutsche Kinder bekommen, da weht ein ‘brauner Wind’”. Die beiden erfolgreichsten Debunker, der Faktenfinder der Tagesschau und die Berliner Morgenpost, erzielten dagegen selbst zusammengerechnet nicht so viel Social-Media-Reichweite, wie die Epoch Times, auch wenn ihre jeweiligen Webseiten höhere direkte Reichweiten („Page impressions“) aufweisen.

Bereits wenige Verbreiter der Fake News machen dabei im konkreten Fall schon einen Großteil der viralen Reichweite aus. Und auch das Verhältnis zwischen der Verbreitung der Fake-News und ihrem Debunking leidet dementsprechend. So beinhalten ein Viertel der von uns analysierten 510 Artikel und Postings (siehe Grafik) das Fake-News-Narrativ und nur 15 Prozent das Debunking – die 25 Prozent Fake News kommen zudem zusammengerechnet auf fast doppelt so viel Engagement.

Unter den 46 Prozent im Bereich „None“ verbirgt sich dann ein großer Teil von „Anschlusskommunikation“, wie der Tweet der ehemaligen CDU-Abgeordneten Erika Steinbach, die Käßmann „linksfaschistische Ergüsse“ unterstellt. Oder ein weiterer Artikel der Berliner Morgenpost, die wiederum über Steinbach berichtet. Der Großteil dieser Anschlusskommunikation lässt sich euphemistisch als „Contraposition“ bezeichnen, viel davon ist aber schlicht Hetze und Hass. So sind 14 Prozent der Käßmann-Postings und Artikel auch gleich gar nicht mehr im Netz abrufbar. Entweder, da die Plattformen die Beiträge entfernt haben oder aber Käßmanns Androhung gegen die Verbreiter zu klagen, Wirkung gezeigt hat. Die gute Nachricht: Kein einziges seriöses Online-Medium teilt die Fake News – von Spiegel Online bis bild.de widmen sich alle vorrangig dem Debunking – bzw. Käßmanns Klageandrohung.

Der Sinn dieser Datenübung, die nur einen kleinen Teil unserer Analyse zeigt [PDF], ist am Ende die Strukturen und Muster dahinter, aufzuzeigen und zu verstehen. Dafür wiederholen wir die Analyse mit einer möglichst großen Zahl weiterer Fake News mit Fokus auf politischen Themen im Wahlkampf. Mittels Befragung der Wähler nach der Bundestagswahl wollen wir zudem herausfinden, was am Ende hängen bleibt: Ist es trüb die Erinnerung an das Narrativ der Fake News à la „Da war doch was mit Schmuggler-Poldi und den Flüchtlingen!“ oder erreicht das Debunking genug Menschen, um den faulen Nachrichtenzauber zu enttarnen?

Über den Testcase hinaus bleibt währenddessen zumindest der Eindruck, dass die nun seit Ende letzten Jahres andauernde Debatte große Teile der Bevölkerung sensibilisiert hat. So sind, laut Daten der Forschungsgruppe Wahlen, die Deutschen ohnehin kritisch mit allen Nachrichten, die sie über Social Media erreichen und gut zwei Drittel der jungen Deutschen sagen, laut einer Umfrage der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen, dass sie ihnen begegnende Fake News auf deren Wahrheitsgehalt geprüft haben.

Die Spitze des Eisberges

Und dennoch: Die Diskussion um Fake News steht stellvertretend für eine Veränderung, die der alte Habermas mal „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ genannt hat – nur das wir davon die digitalisierte Version gerade erleben. Um mal die Problemfelder aufzuzeigen: Die journalistischen Gatekeeper sind auf dem Rückmarsch, denn Parteien, Kandidaten und politische Bewegungen erreichen via Social Media ihr Publikum nun auch direkt. Und während das ein oder andere Medium via Clickbaiting um seine Leser kämpft, kann jeder selbst via Twitter oder gar mit eigener Botarmee und ein wenig Glück seine selbst produzierten Nachrichten viral gehen lassen. Währenddessen bietet das Netz für jede noch so krude Verschwörungstheorie das passende „tiefergehende Informationsangebot“, während wir bei Facebook nicht wissen, wen die Parteien mittels „Dark Ads“, also personalisierter Wahlkampfwerbung, wie und in welchem Umfang erreichen.

Für viele dieser Phänomene fehlen uns zuweilen schlicht Daten, um genau beurteilen zu können, wie stark der Einfluss von Dark Ads oder Social Bots letztlich ist. Für Fake News ist zumindest der Anfang gemacht. Bis dahin hilft Gelassenheit anstatt hysterischer Debatten genauso viel, wie die stetige Verbesserung der Medienkompetenz von uns allen im Zeitalter der Informationsgesellschaft. Wer sich nun dennoch bis zur Bundestagswahl im Unklaren darüber ist, welcher Wahrheitsgehalt einem auf der eigenen Facebook-Timewall begegnet, dem sei der – mit einem Augenzwinkern – gegebene Rat von Carolin Emcke von der Jahrestagung des Netzwerks Recherche diesen Jahres mitgegeben: »Tja, überall Fake News? Kauft halt ne Zeitung!«


Der Autor, Alexander Sängerlaub, leitet das Projekt „Measuring Fake News“ beim Think Tank Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Der Gastbeitrag ist ein Auszug aus dem Paper, das er morgen zum Thema veröffentlicht.