Wladimir Putin (Bild) kritisiert häufig westliche Medien. Das russische Staats-TV steht unter rigider Kontrolle des Kreml. – (c) REUTERS (Maxim Shemetov)


Die Geschichte, die die Frau aus dem ostukrainischen Donbass den russischen TV-Journalisten schilderte, klang grausam: Soldaten der ukrainischen Armee hätten bei der Einnahme der Stadt Slowjansk im Sommer 2014 ein dreijähriges Kind zunächst öffentlich gezüchtigt und danach auf dem Lenin-Platz gekreuzigt. „Die Mutter musste mit ansehen, wie das Blut aus dem Kind floss“, erzählte eine blonde Frau namens Galina Pischnjak, die laut Darstellung des russischen Ersten Kanals aus der Ukraine nach Russland geflohen war. „Es war nicht zum Aushalten.“

Konnte das wirklich passiert sein? War die Brutalisierung einer Konfliktpartei nach ein paar Wochen „Antiterroroperation“ tatsächlich schon so weit fortgeschritten, dass Verbrechen gegen wehrlose Kinder möglich waren? Kaum zu glauben. Andererseits: Der Bericht lief nicht auf einem obskuren Internetportal, sondern wurde im Ersten Kanal des staatlichen russischen Fernsehens ausgestrahlt. In den folgenden Tagen und Wochen verbreitete sich die Geschichte auch im deutschsprachigen Netz. Die Aussage von Galina Pischnjak diente als Beweis für die angebliche Brutalität der ukrainischen Armee gegen Zivilisten und ihren als „Strafaktion“ betitelten Einsatz im Donbass.

Vorsätzliche Falschmeldungen, also Fake News, einseitige Darstellungen, manipulierte Fotografien, geschönte Statistiken oder bewusste Auslassungen heizen Konflikte an. Weltweit. Sie bestätigen Vorurteile über den „Feind“, sie verwirren und verunsichern. Kriege sind immer auch Propagandakriege, nicht erst seit der Ukraine-Krise. Das Ansinnen, die Meinung der Öffentlichkeit durch Desinformation zu beeinflussen, gibt es schon lange. Warum sind Fake News heute aber in aller Munde?

„Es lügen doch alle“

Mit dem Internet und sozialen Medien gibt es erstens neue Kanäle, die die Verbreitung von Desinformation begünstigen. Inhalte werden in Sekundenschnelle geteilt, ohne dass eine Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt stattfindet. In Foren machen Trolle Stimmung für eine Partei. Ist einmal eine Information abgesetzt, verbreitet sie sich in Windeseile und kann kaum mehr gestoppt (oder gelöscht) werden. Zweitens ist Information als Ware im Konflikt selbst in den Fokus von Militärstrategen gerückt. Der britische Journalist und Autor Peter Pomeranzev hat in seinem gemeinsam mit Michael Weiss verfassten Bericht, „The Menace of Unreality“, den Begriff von „weaponization of information“ geprägt: Information, so lautet die These, ist eine Waffe in der hybriden Kriegsführung. Zielte Propaganda darauf, eine angebliche „Wahrheit“ zu beweisen, geht es heute darum, wie der frühere Spindoktor des Kreml, Gleb Pawlowskij schreibt, „Wirklichkeiten zu schaffen“. Ziel ist es, beim Leser oder User den Eindruck zu erwecken, dass es keine Wahrheit mehr gibt. Dieser Gedanke manifestiert sich auch in einem Allgemeinplatz, den man dieser Tage häufig hört: „Alle lügen.“ Die Wahrheit herausfinden zu wollen erscheint daher bestenfalls naiv beziehungsweise von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Wie reagieren?

Insbesondere die russische Desinformationskampagne hat die Frage aufgeworfen, wie eine adäquate Reaktion im Medienbereich aussehen könnte. Während manche Zeitgenossen eine clever gestaltete Gegenpropaganda befürworten, sehen viele Experten nationale Regierungen oder die EU mit einer ansprechenderen Informationspolitik am Zug, die Fake News kontert. Dass auch Medien selbst auf die Krise reagieren, ist an den derzeit allseits beliebten „Faktencheck“-Formaten oder der Gründung von Recherche-Ressorts und -Plattformen sichtbar.


Von Jutta Sommerbauer – Der Krieg um die (Des-)Information (DiePresse.com, 20.6.2017)