© Lazar Simeonov für DIE ZEIT

Originalartikel bei Zeit Online

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 52 vom 15.12.2016.

Von Ulrich Ladurner (Onlineversion, 18. 12. 2016)

Stadt der Lügner

Fake-News beeinflussen die Politik. Viele dieser gefälschten Nachrichten kommen aus einer Kleinstadt in Mazedonien. Was ist da los?

Viktor ist zwanzig Jahre alt und Kellner in Veles, einer Kleinstadt in Mazedonien. Das sind keine guten Voraussetzungen, um Geschichte zu schreiben. Aber Viktor hat genau das getan, denn er hat zum Wahlsieg Donald Trumps beigetragen. Trump wäre womöglich nicht in das Amt des mächtigsten Mannes der Welt gewählt worden, wenn es nicht die Falschnachrichten gegeben hätte, die sogenannten Fake-News, millionenfach geteilt im Netz, aber: falsch.

Durch Fake-News wurde beispielsweise Trumps Konkurrentin Hillary Clinton beschädigt. Sie sei in Wahrheit ein Mann, war da zu lesen, ihre Mitarbeiter betrieben einen Kinderpornoring, sie habe einen Hirnschaden, sie leide an einer unheilbaren Krankheit, sie wolle WikiLeaks-Gründer Julian Assange ermorden lassen. Die Schrecklichkeiten wurden im Netz verbreitet, beglaubigt von „Experten“ und „internen Quellen“, millionenfach geteilt und gelikt. Dass sie frei erfunden waren, bemerkten viele Leser nicht.

Die Fake-News haben aus der US-Wahl das gemacht, was ausgerechnet Donald Trump immer beklagte: ein rigged system, ein manipuliertes System. Inzwischen fürchten Sicherheitsexperten, auch die Bundestagswahl in Deutschland im kommenden Jahr könnte durch Falschnachrichten beeinflusst werden. Erste Politiker fordern ein Verbot.

Viktor hat eine der Seiten betrieben, die solche Nachrichten verbreitet haben: thedailybox.com. Er hat die Falschnachrichten über Trump nicht selbst geschrieben, er ist beim Browsen auf amerikanischen Internetseiten darauf gestoßen, hat sie kopiert und dann weiterverbreitet. „Man muss sich mit Facebook auskennen. Das ist das Wichtigste. Ich habe mich auf den amerikanischen Markt konzentriert, wie alle anderen auch.“

Alle anderen, das sind zig weitere meist jüngere Menschen in der Kleinstadt Veles in Mazedonien, die es gemacht haben wie Viktor. Sie haben Seiten mit Fake-News betrieben, weil man damit schnell viel Geld verdienen konnte, und sie haben die amerikanische Wahl als besonders lohnenswertes Geschäft entdeckt. Donald Trump brachte die Aufmerksamkeit, die sie brauchten.

Für Viktor war die Verbreitung von Falschnachrichten so etwas wie sein Nebenjob. Das Geld verdiente er mit den Klicks. Von Facebook gibt es pro Klick einen Cent und von Google zusätzlich Geld für Werbung, die auf den angeklickten Websites platziert werden kann. Manche Fake-News wurden mehr als eine halbe Million Mal geteilt und kommentiert. Und in Veles fabrizierten Viktor und andere Heimarbeiter sie am laufenden Band.

Nicht dass Viktor besonders daran interessiert gewesen wäre, wer in Amerika Präsident wird. Die USA sind viel zu weit weg von Mazedonien, als dass ihn das kümmerte. Er wollte bloß das Geld. Mehr war da nicht. Seine Seite ist, wie die meisten ähnlichen Seiten aus Veles, inzwischen geschlossen. Doch im Wahlkampf war sie gut besucht. „500 bis 700 Euro im Monat habe ich in den besten Zeiten verdient“, erzählt Viktor.

Schmal und schüchtern ist dieser junge Mann – und wenn er von seinem Monatsverdienst erzählt, dann scheint ihm das ein wenig peinlich zu sein. 500 bis 700 Euro, das ist ja sehr viel Geld in Mazedonien. Der Durchschnittslohn hier beträgt 150 Euro.

Zeitweise waren 140 Internetseiten mit Falschnachrichten in dem Ort registriert

Ein Großverdiener war Viktor in diesem Geschäft trotzdem nicht. In den Cafés von Veles erzählt man sich, dass der Spitzenverdiener in knapp 50 Tagen 180.000 Euro kassiert habe. Treffen kann man den Mann nicht. Auch seinen Namen will niemand nennen. Es hat sich herumgesprochen, dass diese Sache mit den Fake-News zwar einträglich sein kann, aber doch Unwägbarkeiten birgt. Wer weiß, welche unbekannten Gefahren man heraufbeschwört, wenn man darüber spricht? Da ist es besser, allzu viel Öffentlichkeit zu vermeiden.

Trump versus Clinton, das war die Goldader

Über den Großverdiener weiß man aber zu erzählen, dass er noch in Veles lebe und sich einen BMW aus Deutschland bestellt habe, der in ein paar Tagen kommen werde. Dann könne man ihn erkennen, denn so viele nagelneue BMW gibt es in Veles nicht, um nicht zu sagen: gar keine.

Gut möglich, dass dieser Mann der erste in Veles war, der das Geschäft mit den Fake-News entdeckt und perfektioniert hat. Sicher ist, dass er nur einer von vielen ist. 140 Fake-News-Seiten waren zeitweise in der Stadt registriert. Sie trugen Namen wie Uspoliticsnow.com, TrumpVision365.com, CentralNewsAmerica.com oder USConservativeToday.com.

Viktor erzählt, dass man in Gruppen arbeitete, zu viert oder zu fünft. So eine Internetseite musste ja dauernd gepflegt werden, je mehr Bewegung darauf war, desto größer die Aussichten auf Erfolg. Ein Mann allein konnte das nicht schaffen.

Wie viele junge Männer während des Wahlkampfes insgesamt wohl an der Sache mit den Fake-News gearbeitet haben? Dutzende? Hunderte?

Bei einem Gang durch die Cafés entlang der Straße Blagoj Gjorev, die so etwas wie die Flaniermeile der Stadt ist, kann man jedenfalls einige treffen, die in diesem Geschäft waren – allerdings sind es die kleinen Fische, die großen halten sich zurzeit bedeckt. Kellner, Schankgehilfen, Verkäufer haben versucht, mit Klicks Geld zu machen. Manche berichten von eigenen Erfahrungen, andere wissen von anderen zu erzählen. Fake-News, das war während des amerikanischen Wahlkampfes gewiss der einträglichste Wirtschaftszweig in Veles. „Wenn einer damit Geld macht, dann folgen andere. Das ist doch normal!“, sagt der Barmann im Café Akvarius. Das sei doch immer so.

Außerdem sei das alles nicht illegal, man habe nur schon veröffentlichte Inhalte weiterverbreitet. Der Barmann selbst war auch in dem Geschäft mit den Klicks, allerdings nicht in der Politik. „Ich habe mich um Nahrungs- und Gesundheitsthemen gekümmert. Ich habe zum Beispiel Rezepte geschrieben und versucht, dafür Aufmerksamkeit zu gewinnen!“ Das war alles harmlos, niemand konnte wirklich zu Schaden kommen.

Die jungen Männer aus Veles haben viele Felder „abgegrast“, um im Netz Geld machen zu können. Aber mit Nachrichten über Katzennahrung oder Artikeln über Muskelaufbaumittel war nicht viel zu holen. Und so surften die Männer aus Veles durchs Netz, auf der Suche nach lukrativeren Themenfeldern. Sehr bald schon wurde ihnen klar, dass sich dort mehr Klicks generieren lassen, wo das Streitpotenzial groß ist, wo sich zwei Parteien bis aufs Blut bekämpfen. Polarisierung befeuert das Geschäft. Trump versus Clinton, das war die Goldader, auf die sie schließlich stießen. Und Hässlichkeiten über Clinton liefen viel besser als Hässlichkeiten über Trump. Deshalb bekam Trump plötzlich eine Schar von Wahlhelfern in der mazedonischen Kleinstadt.

„Journalismus ist hier ein Kampf, in dem der Gegner vernichtet werden soll“

Viktor, der Kellner, hat an den Geschichten, die er im Internet aufsammelte, nicht viel verändert. Er benutzte bloß copy und paste, und setzte einen möglichst reißerischen neuen Titel darüber. Der Rohstoff kam nicht aus Mazedonien, sondern aus Amerika. In Veles wurde er nur weiterverarbeitet und für den (Wieder-)Export fertig gemacht. Viktor hat die giftige Ware dann mit einem Klick hinausgeschossen in die unendlichen Weiten des Internets, wo schon zahllose Menschen darauf warteten, zu lesen, was ohnehin schon in ihren Köpfen herumgeisterte, zum Beispiel dass Hillary Clinton kriminell sei. So haben Viktor und seine Kompagnons aus Veles Vorurteile gefüttert, bis sie sich zur Tatsache aufblähten.

Aber warum ausgerechnet Veles?

Zahlen geben eine erste Antwort. Offiziell sind 28 Prozent der Jugendlichen in Mazedonien arbeitslos. Tatsächlich sind es seriösen Schätzungen zufolge wohl eher 70 Prozent. Die Stadt hat in den letzten zehn Jahren Tausende Einwohner verloren, sie sind in die knapp 60 Kilometer entfernte Hauptstadt Skopje abgewandert oder ins Ausland gegangen, meist für immer. 45.000 Menschen leben heute noch hier, sehr viele von ihnen sind Rentner. Sie müssen mit ihren mickrigen Renten häufig ihre Kinder und Enkel unterstützen, weil deren Einkommen – sofern sie überhaupt eines haben – fürs Leben nicht reicht.

Sind die jungen Leute in dieser Stadt einfach skrupellos?

Wie es den jungen Menschen ergeht, lässt sich im Büro der sozialdemokratischen Partei im Zentrum der Stadt erfahren. Dort sitzt eine fünfköpfige Gruppe von knapp über Zwanzigjährigen zusammen und wärmt sich an einem Heizstrahler. Dieser Raum dient offenbar auch als Treffpunkt für die jungen Leute. Viel Unterhaltung kann diese Stadt nicht bieten. Einen Fußballplatz, ein Fitnesszentrum, eine Laufbahn, das gibt es alles, aber in diesen Wintertagen ist es eisig kalt, und es wird früh dunkel, da bleibt man drinnen und rückt zusammen, wie die fünf jungen Männer. Keiner von ihnen hat eine feste Arbeit, sie schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch, studieren in Skopje oder warten auf bessere Zeiten. Alle tragen sich mit dem Gedanken, das Land zu verlassen.

Dragan, ein 22-jähriger Informatikstudent, berichtet: „Wir gehen überallhin, wenn sich eine Möglichkeit bietet, nach Deutschland, Schweden, Australien, Malta, Katar. Wo wir ein Auskommen finden können, da sind wir.“

Überallhin, das heißt eben auch ins Internet.

Warum sollten sie es auch nicht tun? Etwa weil Fake-News toxische Ware sind? Eine gefährliche „Epidemie, die unsere Demokratie zerstören kann“, wie Hillary Clinton vor wenigen Tagen sagte?

Der Schankgehilfe vom Akvarius erzählt dazu eine Geschichte über Veles. Hier habe man schon lange vor dem amerikanischen Wahlkampf Falschnachrichten produziert, zum internen Konsum gewissermaßen. „In der Stadt gibt es einen sehr bekannten Motorradfahrer. Eines Tages war auf einer lokalen Website zu lesen, er sei bei einem Unfall zu Tode gekommen. Die Website bekam sehr viele Klicks. Aber die Nachricht war frei erfunden!“

Sind die jungen Leute in dieser Stadt einfach skrupellos?

Das ist etwas zu einfach. Zusätzlich zu den dramatischen Zahlen über die Arbeitslosigkeit gibt es über Veles eine erhellende Geschichte zu erzählen. Sie handelt von einer Stadt, die zu kommunistischen Zeiten von der Schwerindustrie geprägt war. Blei und Zink wurden in Veles verarbeitet. Die älteren Stadtbewohner erinnern sich an das ohrenbetäubende Rattern der Güterwaggons, die das Rohmaterial aus dem Osten des Landes brachten, an die dicken Rauchschwaden, die aus den Schloten quollen, an die Atembeschwerden, an die vielen Babys, die mit Missbildungen geboren wurden, weil das Gift schon in der Schwangerschaft im Bauch der Mütter wütete.

Viel Unheil kam mit der Fabrik nach Veles, aber öffentlich darüber reden durfte man nicht, denn es war der kommunistische Parteichef Mazedoniens, Strahil Gigov, der dieses Gift speiende Monster an den Stadtrand setzen ließ.

Veles war seine Heimatstadt, die Fabrik das Prestigeobjekt eines unantastbaren Parteibonzen. Die Bewohner mussten sich fügen.

Dann zerfiel im Jahr 1991 Jugoslawien. Mazedonien blieb vom darauffolgenden Krieg verschont, nicht aber vom rasanten wirtschaftlichen Niedergang. Die Fabrik keuchte ihrem Ende entgegen, zehn Jahre lang. Dann schloss sie ihre Tore endgültig. Tausende verloren die Arbeit. Sie kam nicht wieder.

Ist alles lange her. Geschichte. Was soll’s?

Die Jugendlichen, die Fake-News verbreiten, sind in dieser Trümmerlandschaft aufgewachsen. Ihre Väter und Mütter haben ihnen erzählt, wie es war, als die Macht unantastbar und es gefährlich war, sich gegen sie aufzulehnen. Sie haben auf diesem Wege erfahren, wie wenig ein Menschenleben wert war, wie gnadenlos und gierig Herrschende sein können.

„Es gibt in Mazedonien kein Wertefundament – ja nicht einen einzigen Wert“

Und sie sollten glauben, dass nach dem Ende des Kommunismus alles besser würde. Das jedenfalls war die Botschaft des neuen, demokratischen Zeitalters. Jeder hatte eine unantastbare Würde, jeder hatte Aussicht auf Frieden und Wohlstand. Die Fake-News-Verbreiter von Veles sind in einen demokratischen Staat Mazedonien hineingeboren worden, der Aussichten hat, der EU beizutreten. Demokratie und Europäische Union, das schien der stabile Rahmen für eine gute Zukunft.

Aus mazedonischer Sicht ist dieser Rahmen jedoch schon lange brüchig geworden. Der Beitritt zur EU ist in weite Ferne gerückt, und die Demokratie gibt es nur auf dem Papier, in Wahrheit wird das kleine Land von einer kleinen Clique beherrscht. Unabhängige Medien gibt es nicht. Sie sind pure Propagandainstrumente der politischen Parteien. Demokratie und EU, beides ist zur Fata Morgana verkommen.

Naser Selmeni, der Vorsitzende des mazedonischen Journalistenverbands, lacht auf, wenn er auf die Fake-News aus Veles angesprochen wird. „Was soll man von den Jungen erwarten? Sie praktizieren nur das, was in diesem Land seit Langem gang und gäbe ist. Es gibt in Mazedonien kein Wertefundament – ja nicht einen einzigen Wert. Nur die Macht zählt!“

Dann erzählt er eine Geschichte. „Der Oppositionsführer ist vor längerer Zeit vom Chefredakteur des Staatsfernsehens interviewt worden. Aber es war kein Interview. Es war eine einzige Anklage!“ Der Chefredakteur stellte keine Fragen, sondern feuerte Vorwürfe ab:

„Geben Sie zu, dass Sie kriminell sind!“

„Sie haben Geld hinterzogen!“

„Sie haben gelogen!“

So ging das die ganze Zeit. „Journalismus, das ist in Mazedonien nicht nur Propaganda“, sagt Naser Selmeni. „Es ist ein Kampf, in dem der Gegner vernichtet werden soll!“

Wollte man den mazedonischen Jugendlichen von Veles also Geldgier vorwerfen, so sollte man auch bedenken, dass die junge Generation im Frühjahr 2015 auf die Straße ging, um gegen den Zynismus der Macht zu protestieren, unter der sie litt. Zehntausende lehnten sich auf gegen Korruption und Misswirtschaft.

Man glaubte, die Regierung stehe vor dem Sturz. Sie stürzte aber nicht.

Die EU machte Druck, damit es Neuwahlen gebe. Im Sommer 2015 begann die Massenwanderung über die Balkanroute. Wenige Monate später errichtete die Regierung einen Zaun an der Grenze. Mazedonien war zum Bollwerk Europas geworden. Was im Inneren dieses Landes geschah, das interessierte jetzt kaum einen mehr. Die mazedonische Demokratiebewegung geriet in Vergessenheit. Die Jugend Mazedoniens verschwand aus dem Blickfeld Europas.

Dann tauchte sie im Sommer 2016 plötzlich wieder auf, in einer ganz unerwarteten Rolle. Die Fake-News aus Mazedonien wirken wie die Sabotage einer jungen Generation, die nichts anderes erlebt hat als Zynismus und Gier – und daraus einen Schluss zieht: dass man zuallererst schauen muss, wo man selbst bleibt. Wahrheit spielt dabei keine große Rolle.

Originalartikel bei ZEIT Online. (18.12.2016, Ulrich Ladurner)