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Von Richard Herzinger  – Hybride Kriegsführung Bei Fake News gibt es wirklich nichts zu lachen (Welt, 09.03.2017)

Wenn in einer Demokratie Politiker die Unwahrheit sagen, werden sie von der Öffentlichkeit kontrolliert. Autokraten fälschen gezielt, um zu destabilisieren. Wladimir Putin ist darin ein wahrer Meister.

Das Schlagwort Fake News ist neuerdings in aller Munde und macht eine steile Karriere als modische Allerweltsvokabel. Gerne wird sie mit ironischem Augenzwinkern gebraucht, weshalb ein Witz über Fake News in kaum einem Comedyprogramm mehr fehlen darf und das Produzieren scherzhaft gemeinter Fake News schon zu einer regelrechten satirischen Sparte geworden ist.

Seit der Entertainer Jan Böhmermann vorgab, die Stinkefingersequenz in der Aufzeichnung der Rede des damaligen griechischen Finanzministers Varoufakis gefälscht zu haben – sie war in Wahrheit authentisch –, gilt das Fabrizieren von Fakes sogar als ein Spaß in zweiter, gleichsam dialektischer Potenz: Für sein erfolgreiches Faken eines Fakes erhielt Böhmermann einen Grimme-Preis.

Was jedoch als virtuoses Spielen in aufklärerischer Absicht mit den verschwimmenden Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion in der medialen Dauerberieselung gefeiert wird, fördert tatsächlich nur den Realitätsverlust, auf den die Verbreiter wirklicher Fake News bei ihren Rezipienten spekulieren.

Der Postmodernismus hat uns gelehrt, dass die Medien nicht mehr als Abbild der Wirklichkeit, sondern als selbstreferenzielles System zu betrachten seien, das seine eigene Realität erzeuge. Alles, was in den Medien erscheint, ist demnach an sich irgendwie Fake. Und wir sind angehalten, es nicht so ernst zu nehmen.

Virtuelle Selbstbezüglichkeit

Doch bei dem, was mit dem Begriff Fake News tatsächlich verbunden ist, haben wir es mit einem Phänomen zu tun, bei dem es nichts zu lachen gibt und das die virtuelle Selbstbezüglichkeit der postmodernen Mediendiskurse sprengt.

Womit wir konfrontiert sind, ist der gezielte Einsatz frei erfundener oder in das Gegenteil ihrer Aussage verfälschter Nachrichten zur Zerstörung der Glaubwürdigkeit und Beschädigung des Ansehens von Institutionen oder Personen.

Zu einer politischen Gefahr höchsten Grades werden Fake News dadurch, dass sie von antidemokratischen Kräften planmäßig zur Unterminierung der demokratischen Ordnung in Umlauf gebracht werden. Und als Angriffswaffe im Informationskrieg sind sie zu betrachten, wenn ihre Fabrikation und Verbreitung von Geheimdiensten initiiert und gesteuert wird.

Namentlich das Regime Wladimir Putins setzt systematische Desinformation seit Jahren massiv zur Destabilisierung unliebsamer Nachbarn wie der Ukraine und den baltischen Staaten ein – neuerdings, wie im Präsidentschaftswahlkampf in den USA, aber auch gegen etablierte westliche Demokratien.

Putin auf einer Stufe mit Merkel?

In der deutschen Debatte werden Fake News jedoch zunehmend banalisiert und verharmlost. Der häufigste Irrtum dabei ist ihre Verwechslung mit gewöhnlichen Falschmeldungen oder auch nur irreführenden Ungenauigkeiten, die in der Medienberichterstattung in der Tat immer wieder vorkommen.

Neuerdings wird aber auch verstärkt darauf verwiesen, dass doch auch demokratische Politiker schon immer zur Verschleierung der Wahrheit oder zu blanken Lügen gegriffen und somit Fake News verbreitet hätten.

Autoritäre Politiker wie Putin und Erdogan oder auch „Populisten“ wie Trump praktizierten dies eben nur schriller und unverblümter als etwa Angela Merkel oder Katrin Göring-Eckardt.

Doch eine solche Argumentation negiert eine fundamentale Differenz. Es ist die zwischen den Versuchen zur Manipulation der Wahrheit durch Mächtige in einer Demokratie, die von einer freien Öffentlichkeit kontrolliert werden, und den Desinformationstechniken autoritärer Regime oder antidemokratischer Bewegungen, deren Ziel es ist, die Kriterien zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge an sich zu zerstören.

Objektive Fakten in Zweifel ziehen

Bei zu diesem Zweck verbreiteten Fake News kommt es gar nicht unbedingt darauf an, dass sie von möglichst vielen Leuten geglaubt werden. Es geht ihren Urhebern vielmehr darum, das Bewusstsein der Öffentlichkeit derart mit gefälschter Wirklichkeit zu überfluten und damit die Existenz objektiver Fakten überhaupt in Zweifel zu ziehen, dass am Ende auch zutreffende Faktenfeststellungen keine Chance mehr haben, sich dagegen durchzusetzen.

Es stimmt zwar, dass Fake News im Einzelfall nicht ohne Weiteres von gewöhnlichen Unwahrheiten, Halbwahrheiten oder Gerüchten zu unterscheiden sind. Gesetzlich gegen sie vorzugehen, wäre deshalb ein Irrweg, könnte das doch staatlicher Willkür gegen unliebsame Informationen und Meinungen das Tor öffnen.

Umso bedeutsamer ist es jedoch, dass die kritische Öffentlichkeit gegenüber der Dimension des Angriffs sensibilisiert ist, der mit Fake News verbunden ist. Es gilt das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sie Teil einer hybriden Kriegsführung gegen die westlichen Demokratien sind.

In Deutschland muss damit gerechnet werden, dass die Desinformationskrieger des Kreml und die von ihm geförderten hiesigen rechtsnationalistischen und linksautoritären Kräfte massiv manipulierend in den Bundestagswahlkampf eingreifen.

Es ist eine Lüge, dass überall gelogen wird

Die Verramschung des Schlagworts Fake News und die Trivialisierung seiner Bedeutung aber schwächen die politische und gesellschaftliche Widerstandskraft gegen diese Attacken und spielen den Desinformationsstrategen in die Hände, die ihre Tätigkeit mit Hilfe eines stereotypen „Whataboutism“ zu verschleiern pflegen.

Im Westen, so schallt es uns etwa regelmäßig aus den Propagandaabteilungen des Kreml entgegen, wird doch auch kräftig gelogen, was regt ihr euch dann über unseren freizügigen Umgang mit der Wahrheit auf?

Merkel: Erdogans Vergleich verharmlost NS-Verbrechen

Und Erdogan und seine Propagandisten drehen jetzt den Vorwurf undemokratischer Methoden und Menschenrechtsverletzungen an die Adresse ihres Regimes kurzerhand gegen Deutschland um – plumpe Nazi-Vergleiche eingeschlossen.

Überhaupt wird das populäre Schlagwort Fake News von den Fake-News-Produzenten selbst längst gegen ihre Kritiker umgewendet. So richten Donald Trump und seine Desinformationsspezialisten den Begriff systematisch gegen die kritische Presse, um deren Enthüllungen ihrer Umtriebe von vorneherein zu diskreditieren.

Trumps Grenzüberschreitung

Das eigentlich Beunruhigende an Trumps Vorgehen ist nicht, dass er besonders häufig und dreist offensichtliche Unwahrheiten verbreitet, sondern dass er die gemeinsame Basis aufkündigt, auf der die Auseinandersetzung über den Wahrheitsgehalt von Tatsachenbehauptungen überhaupt stattfinden kann.

„Obama ließ meine Leitung im Trump Tower anzapfen“

Im Angesicht von Aufnahmen, die belegen, dass seine Inaugurationszeremonie weniger Zuschauer angezogen hat als frühere, hielt er umso massiver an seiner Version fest, es sei die größte Zeremonie seit Menschengedenken gewesen. Die manifesten Gegenbeweise ließ er mit dem Hinweis vom Tisch wischen, er verfüge eben über „alternative Fakten“.

Mit einer derartigen Grenzüberschreitung darf sich die demokratische Öffentlichkeit nicht abfinden, will sie sich nicht den Boden entziehen lassen, auf dem allein sie noch zwischen wahr und falsch unterscheiden kann.

Von Richard Herzinger  – Hybride Kriegsführung Bei Fake News gibt es wirklich nichts zu lachen (Welt, 09.03.2017)