Von Cornelius WüllenkemperWir haben es mit medialem Krieg zu tun (FAZ, 29.01.2017)

Dass Russland mit krummen Methoden auf die Meinungsbildung im Westen einwirkt, hört man allenthalben. Aber wie genau? Kommunikationsstrategen der Nato meinen, es zu wissen. Ein Ortsbesuch.

ird die kommende Bundestagswahl bereits überschattet von russischen Propagandastrategien? Janis Sarts, Direktor des seit 2014 in Riga ansässigen StratCom-Forschungszentrums, ist davon überzeugt. Russlands wiederholte Versuche, Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu diskreditieren, seien ein „Test, inwiefern man bestehende Probleme dazu nutzen kann, um einen politischen Wandel in Deutschland zu begünstigen“. Nach den Vorwürfen gegen die russische Regierung, sie habe in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen, dürfte die jüngste Warnung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor möglicher Einflussnahme in anderen Bündnisstaaten auch in der lettischen Hauptstadt auf offene Ohren gestoßen sein.

Das „Nato Strategic Communication Centre of Excellence“ analysiert feindliche Medienoffensiven und berät Regierungen bei der Entwicklung von Gegenstrategien. Bisher zählen sieben Staaten zum festen Kreis der unterstützenden Nato-Mitglieder, darunter Deutschland. Frankreich und die Niederlande stoßen demnächst hinzu. In allen drei Ländern wird 2017 gewählt. Herrscht, nachdem die Nato im vergangenen Jahr virtuelle Angriffe zum möglichen Auslöser des Bündnisfalls erklärte, schon Kalter Krieg zwischen den Kommunikationsstrategen? „In den Medien haben wir es längst mit einem heißen Krieg zu tun“, sagt der StratCom-Direktor Janis Sarts. „Die russische Propaganda nutzt Themen, die das Potential haben, gesellschaftliche Gräben zu vertiefen. Was Deutschland betrifft, ist eines dieser Themen die Flüchtlingspolitik. Die Migration hat in Deutschland eine scharfe Debatte entfacht, die leicht instrumentalisiert werden kann, um eine Spaltung voranzutreiben und so die gewünschten politischen Effekte zu erzielen.“

Agitiert Russland verdeckt gegen die Bundesregierung?

Mit erfundenen Nachrichten zum Beispiel werden Ängste geschürt. So verbreitet die deutschsprachige, von Russland aus operierende Plattform „anonymousnews.ru“ groteske Meldungen über Flüchtlinge in Deutschland, wie jene, Migranten nutzten W-Lan-Spots, um tierpornographische Inhalte abzurufen. Eine andere Falschmeldung handelte von einem Nato-Offizier, der sich angeblich in Aleppo dem IS angedient habe. Auch die deutschsprachige Version des vom Kreml finanzierten Senders „Russia Today“ verbreitete die haltlose Behauptung. Dass solche Geschichten ihr Publikum finden, zeichnete das Portal „Buzzfeed“ nach: So wurde 32.000 Mal ein Post der Website „yournewswire.com“ geteilt, der die Behauptung aufstellte, Angela Merkel habe ein Selfie mit einem der Attentäter von Brüssel aufgenommen.

Nicht immer ist die Zuordnung derartiger „Nachrichten“ zur russischen Propaganda-Maschinerie möglich, doch weisen in vielen Fällen Verbreitungsmuster und Machart der Falschmeldungen in dieselbe Richtung. Der StratCom liegen nach eigener Darstellung Beweise dafür vor, dass Russland in Deutschland verdeckt und konkret gegen die Bundesregierung agitiert, um etwa einen Kurswechsel bei der Sanktionspolitik der Europäer im Ukraine-Konflikt zu begünstigen. Konkrete Beispiele, in denen eine Beteiligung des Kremls nachgewiesen werden konnte, unterliegen aber leider der Geheimhaltung.

Ehemalige Sowjetrepubliken gelten als mediales Frontgebiet

StratCom-Direktor Janis Sarts kennt die Kommunikationsstrategien des Kremls. Er beriet das lettische Verteidigungsministerium, bevor er Ende 2014 die Leitung der StratCom-Zentrale in Riga übernahm. Die auf eine Initiative der baltischen Staaten und Polens zurückgehende Einrichtung erhielt nur wenige Monate nach dem Einmarsch der Russen auf der Krim und der parallel laufenden Medienkampagne über den „Schutz der russisch-ethnischen Minderheit“ auf der Halbinsel ihre Akkreditierung bei der Nato. Gerade die ehemaligen Sowjetrepubliken im Baltikum mit ihrer russischsprachigen Minderheit gelten spätestens seit der Krim-Invasion als mediales Frontgebiet. Eine Blaupause für einen Informationskrieg mit Russland?

Knapp fünfzig Prozent der Bewohner der lettischen Hauptstadt sind ethnische Russen, mehr als 25 Prozent sind es im ganzen Land. Das sei die Zielgruppe der russischen Auslandspropaganda, sagt Janis Sarts: „Vor allem das russische Fernsehen indoktriniert seine Zuschauer. Zudem gibt es verschiedene von Russland finanziell unterstützte Organisationen wie Russkij Mir oder World Without Nazism sowie zahlreiche Internetforen, die das russische Narrativ verbreiten: Lettland sei ein gescheiterter Staat, der von der EU als billiger Arbeitsmarkt missbraucht werde und in dem die EU minderwertige Produkte verramsche. Europa, so wird kommuniziert, sei das reine Chaos und stehe kurz vor dem Zerfall.“ Die beste Desinformation sei diejenige, die vom Feind nicht bemerkt werde, sagt Sarts. „Ich gehe davon aus, dass viele Länder nichts davon merken oder beschlossen haben, nichts merken zu wollen.“

Sogar der russische Außenminister steigt darauf ein

Neben dem Fernsehen betrachtet Sarts das Internet als zentralen Schauplatz des Informationskriegs. Dass Russland „Trollfabriken“ unterhält, ist inzwischen bekannt. Deren Mitarbeiter belagern Online-Foren und Websites mit massenhaft abgesetzten Kommentaren oder verbreiten gefälschte Nachrichten. „Wir versuchen zu beweisen, dass dahinter eine bezahlte und organisierte Anstrengung steht, deren Ziel es ist, Meinungen und Stimmungen zu beeinflussen“, sagt Sarts. Das „Robot Trolling“, also Nachrichten und Kommentare, die von Computern generiert werden, spiele eine immer größere Rolle. „Wir sind dabei, Techniken zu entwickeln, die Robot-Trolling mit einem Algorithmus aufdecken und ihnen entgegenwirken“, sagt Sarts. Erfundene Nachrichten und Meinungsmache gegen die offene, demokratische Gesellschaft kommen vor allem bei Anhängern links- oder rechtsextremistischer Bewegungen und sozialen Randgruppen an. Als paradigmatischen Fall ruft der StratCom-Direktor Sarts den „Fall Lisa“ in Erinnerung: Im Januar 2016 hatte eine dreizehnjährige Russlanddeutsche aus Berlin-Marzahn fälschlicherweise behauptet, von zwei arabischstämmigen Flüchtlingen in einer Wohnung festgehalten und vergewaltigt worden zu sein. Nicht nur Rechtsextreme nutzten die Falschmeldung für ihre Zwecke, zahlreiche Mitglieder der russlanddeutschen Gemeinde demonstrierten vor dem Berliner Kanzleramt für „ihre“ Lisa. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf den deutschen Behörden öffentlich vor, den Fall vertuschen zu wollen.

In diesem Fall sei der russischen Propaganda-Maschinerie allerdings ein schwerer Fehler unterlaufen, sagt Janis Sarts, denn die Geschichte habe sich eindeutig als Falschmeldung entpuppt. „Die Methode war klassisch: Gefühle werden geschürt, oft mit Hilfe von Kindern oder älteren Menschen, und dann benötigt man noch einen ,Mann von der Straße‘. Da bedient man sich in Russland trainierter Schauspieler, die in verschiedene Rollen schlüpfen, um so die Glaubwürdigkeit der Geschichte zu steigern. An solchen Desinformationskampagnen sind traditionelle Medien, aber auch soziale Netzwerke, Nichtregierungsorganisationen und natürlich Politiker beteiligt. Die Art und Weise, wie diese Elemente dann ineinandergreifen, macht sehr deutlich, dass dahinter die konzertierte Initiative eines einzigen Befehlsgebers steckt.“

„Wir übernehmen die Verantwortung für das, was wir sagen“

Die Schlacht um die Wahrheit ist längst eröffnet, das legt auch ein Blick auf die Website der StratCom-Zentrale nahe. Dort ist davon die Rede, dass man mit strategischer Kommunikation „Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhalten“ der Öffentlichkeit im Sinne der politischen und militärischen Ziele der Nato beeinflussen wolle. Wo ist da der Unterschied zu den Methoden, die man angreift? Janis Sarts hat darauf eine smarte Antwort: „Der grundlegende Unterschied zwischen Propaganda und strategischer Kommunikation ist, dass unsere Arbeit auf Tatsachen beruht, dass wir ehrlich sind. Wir übernehmen die Verantwortung für das, was wir sagen. Wenn ich behaupten würde, dass wir die Öffentlichkeit nicht beeinflussen wollen, dann wäre das schlicht nicht glaubhaft.“

Von Cornelius WüllenkemperWir haben es mit medialem Krieg zu tun (FAZ, 29.01.2017)