Besucher in der Kuppel des Berliner Reichstags. Wer bei der Wahl am 24. September als Parlamentarier in das Gebäude einzieht, interessiert auch Moskau. (Bild: Pawel Kopczynski / Reuters)


Die von vielen befürchtete Einflussnahme Russlands auf die Bundestagswahl im September ist bereits im Gang. Gezielt werden Russlanddeutsche mit Propagandamethoden zu manipulieren versucht.

Im November vergangenen Jahres sprach Angela Merkel von der Gefahr einer russischen Einmischung in die bevorstehende Bundestagswahl. Kein halbes Jahr verging bis zum Auftauchen eindeutiger Beweise, dass diese Befürchtungen durchaus begründet sind. Ziel einer Propaganda-Kampagne vor der Wahl ist die russischsprachige Gemeinde in Deutschland. Die Russlanddeutschen stimmten traditionell für die CDU. Aus der Ausrichtung der russischen Propaganda lässt sich schliessen, dass diese nun überzeugt werden sollen, gegen Merkels Partei und für die rechtslastige AfD zu stimmen.

Die Wahlen zum Berliner Senat haben gezeigt, dass diese Arbeit bereits Früchte trägt. In Bezirken mit hohem Anteil russischsprachiger Bewohner wie in Marzahn hat die AfD die Christlichdemokraten stark abgedrängt. Jetzt setzt man auf die Verstärkung dieser Tendenz für die Bundestagswahl.

Einsatz einer «Killer-Partei»

Ich selbst war mehrmals als Wahlkampfberater auf regionaler wie föderaler Ebene in Russland tätig. Und ich sehe, wie die schmutzigen Methoden, wie sie einst in Russland angewendet wurden, jetzt in Deutschland zum Einsatz kommen. Nehmen wir als Beispiel die populäre russische Politikstrategie, eine «Killer-Partei» aufzustellen und zu bewerben. Die Strategie besteht darin, eine Scheinpartei samt Kandidaten aufzustellen, deren Ziel nicht der eigene Erfolg ist, sondern die Diskreditierung eines anderen Wahlteilnehmers im Interesse einer dritten Partei. Anstatt für sich selbst Wahlkampf zu machen, bewerfen diese Kandidaten vor allem einen der Favoriten mit Schmutz. Gewöhnlich werden die Dienste dieser «Killer» grosszügig von jenen finanziert, die ein Interesse am Scheitern ihrer politischen Gegner haben.

Im Januar dieses Jahres wurde bekannt, dass bei der bevorstehenden Bundestagswahl solch eine «Killer-Partei» mit dem Namen Die Einheit aufgestellt wird, deren Wahlkampf auf die russischsprachige Gemeinde ausgerichtet ist. Aus dem propagandistischen Material dieser Partei ist ganz deutlich die Stimme der russischen Polittechnologen herauszuhören. Bisher wurde der Parteichef von Die Einheit, Dimitri Rempel, von den russischen Medien für die innerrussische Propaganda genutzt, als «deutscher Politiker», der den Kurs Putins vorbehaltlos unterstützt. Er reiste mit verschiedenen prorussischen Delegationen auf die Krim und verbreitete dort das Märchen, dass «ungefähr 500 000 Russlanddeutsche über eine Rückkehr nach Russland nachdenken». All das passt zur russischen Propaganda über das «schreckliche Leben im Westen», weshalb die russische Presse Rempels Worte immer gern aufgreift.

Bewährte Propagandamittel

Parallel dazu wurde Rempel auch innerhalb Deutschlands genutzt. Bereits 2007 fand unter seinem Vorsitz der «Erste Kongress der Landsleute» in Deutschland statt. Bei dieser Veranstaltung wurde das inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangte Konzept der Russki Mir (Russische Welt) propagiert, aufgebracht insbesondere vom Kreml-freundlichen Politologen Wjatscheslaw Nikonow, dem Präsidenten der gleichnamigen Stiftung. Besonderen Ruhm erwarb sich Rempel letztes Jahr als einer der Antreiber der Hysterie um das angeblich vergewaltigte russischsprachige Mädchen Lisa in Berlin.

Nun hat offenbar Rempels Sternstunde geschlagen. Allen Anzeichen nach hat der Kreml beschlossen, gezielt die Partei Die Einheit als Instrument zu nutzen, um auf das Wahlverhalten der russischsprachigen Gemeinde bei der nächsten Bundestagswahl Einfluss zu nehmen. Begonnen hat die Partei ihren Wahlkampf mit dem traditionellen Mittel russischer Polittechnologen – der Verbreitung einer Wahlzeitung. Viele russischsprachige Aktivisten erhielten ein Muster per E-Mail. Einige zeigten sich empört über die offen Putin-freundlichen und ausländerfeindlichen Inhalte der Zeitung. Die Publizistin und Bloggerin Tatjana Ross schreibt dazu: «Als ich über eine Mail die Zeitung der Partei Die Einheit erhielt, bebte ich vor Zorn.»

Diese Zeitung ist gänzlich nach den Regeln russischer schwarzer PR gemacht und unverhohlen gegen Merkel und die CDU gerichtet. Die Hauptstossrichtung gilt der Einwanderungspolitik der CDU-Chefin, die gleichsam eine «verbrecherische Nachlässigkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen» an den Tag gelegt habe. In der Zeitung werden gleich drei offene Briefe an Merkel abgedruckt, die die Lüge über eine Vergewaltigung von Lisa wiederholen und ausserdem grobe Ausfälle gegen die Kanzlerin enthalten. Übrigens ist die Verbreitung diskreditierender offener Briefe von «Killer-Kandidaten» an ihre Gegner vor Wahlen ebenfalls sehr beliebt bei Russlands Polittechnologen.

In vielen Artikeln der Zeitung wird die Anti-Flüchtlings-Hysterie angeheizt. Auch in den «Briefen an die Redaktion» das Gleiche: «Die Menge strömte auf die Strasse. Kaum ein weisses Gesicht. Vor allem Flüchtlinge . . . Ich dachte nur noch an eins: Wie soll ich es bloss nach Haus schaffen?»

Zielscheibe Russlanddeutsche

Der auf die Russlanddeutschen ausgerichtete Wahlkampf beschränkt sich freilich nicht auf die Aktivitäten der Partei Die Einheit. In gleicher Stossrichtung arbeitet ein sogenannter Internationaler Konvent der Russlanddeutschen unter Vorsitz von Heinrich Groth. Auch die einflussreiche Moskauer Stiftung Russki Mir wirkt aktiv auf die russischsprachigen Deutschen ein. Ausserdem sind sie die Zielgruppe einer Reihe propagandistischer Projekte wie der Websites «Russkoje polje» (Russisches Feld), «Golos Germanii» (Stimme Deutschlands) oder der Youtube-Kanal «Govorit Germanija» (Hier spricht Deutschland). Von den Kanälen des russischen Staatsfernsehens ganz zu schweigen, die laut Umfragen von der Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland regelmässig gesehen werden. Diese stacheln aktiv zu Fremdenfeindlichkeit auf, versuchen die deutschen Regierungsparteien zu diskreditieren und unterstützen die extremen Rechten.

Jedoch ist die Propaganda in Richtung der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland nur ein Teil der Wahlkampfarbeit des Kreml. Hauptziel der polittechnologischen Manipulationen sind gewöhnliche Bürger, die in keiner Verbindung zu Russland stehen. Den russischsprachigen unter ihnen kommt jedoch eine besondere Rolle zu. Wie die Journalistin und Mitarbeiterin der Freien Universität Berlin Olga Sokolowa in ihrem Blog mitteilte, hatten sich kürzlich Leute aus Moskau an sie gewandt mit dem Vorschlag, bei einer Social-Media-Wahlkampagne mitzuarbeiten, die gegen Merkel gerichtet ist. Es ging um agitierende Artikel und diskreditierendes Material gegen die Kanzlerin und ihre Partei, das in speziell dafür eingerichteten Communitys und auf anderen Plattformen in den sozialen Netzwerken placiert werden sollte. Hauptthemen: Flüchtlingskrise, Probleme der Sicherheit und Merkels Persönlichkeit.

Anscheinend haben die Propagandisten aus dem Kreml nicht genug geeignete Leute. Sich im grossen Stil an Deutsche zu wenden, scheuen sie. Und in Russland selbst gibt es nur wenige Propaganda-Spezialisten, die die deutsche Sprache und die Verhältnisse hierzulande gut genug kennen. Deshalb wendet man sich an die in Deutschland lebenden Russen.

Igor Eidman ist Soziologe, Journalist und Buchautor und lebt in Leipzig. Zuletzt ist von ihm erschienen: «Das System Putin, wohin steuert das russische Reich?» (Ludwig-Verlag, München 2016).