RT und Sputnik verwischen systematisch die Grenzen zwischen Nachrichten und Propaganda. Das ist gefährlich – und doch wird ihr Einfluss oft überschätzt.

Ob in Frankreich, den USA oder Osteuropa – wenn von russischer Propaganda die Rede ist, fällt stets der Name RT. Der Fernsehsender, der früher Russia Today hiess, verbreitet aus Moskau den Standpunkt der Regierung. In seiner Selbstwahrnehmung, die unter dem Motto «Hinterfrage mehr» steht, liefert der Sender jedoch lediglich jene Geschichten, die in den westlichen «Mainstream-Medien» verschwiegen würden.

Russische Manipulationsversuche

Zu dubioser Berühmtheit brachten es die Kreml-Organe RT und die Nachrichtenagentur Sputnik zuletzt während des französischen Wahlkampfs, als sie insinuierten, Emmanuel Macron sei schwul. Die systematische Kampagne gegen Macron und die Unterstützung von Macrons Gegenkandidatin Marine Le Pen durch Putin führten zu erheblichen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Macron warf Russland Beeinflussung vor – und bezog sich dabei auch auf einen Cyberangriff gegen ihn, hinter dem viele Moskau vermuten. Auch die amerikanischen Sicherheitsdienste sahen RT in ihrem Bericht zur Einmischung in den Wahlkampf als einen der Hauptakteure.

Tatsächlich ist augenfällig, wie eng koordiniert die offiziellen politischen Positionen der Regierung und jene von RT und Sputnik sind. Dies ist allerdings kaum erstaunlich, gehören beide doch der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Segodnja, die vom rabiaten Nationalisten Dmitri Kiseljow geleitet wird. RT beschäftigt 2000 Personen in zahlreichen Ländern und sendet in sechs Sprachen, während Sputnik Dienste in 30 Sprachen betreibt. Der Kreml liess sich seine Auslandpropaganda 2016 offiziell umgerechnet knapp 325 Millionen Franken kosten. Das sind zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Zum Vergleich: Amerikanische Auslandprogramme wie Voice of America oder Radio Free Europe beantragten für 2016 ein Budget von 751 Millionen Dollar.

Das Hauptquartier von Rossija Segodnja in Moskau (Bild: Sergei Ilnitsky / EPA)
Das Hauptquartier von Rossija Segodnja in Moskau (Bild: Sergei Ilnitsky / EPA)

Überschätzter Einfluss

Wie gut investiert das Geld des Kremls ist, bleibt dennoch zweifelhaft. Die Propagandamedien verbreiten nämlich eine höchst unseriöse Mischung aus Verschwörungstheorien, Horrorgeschichten – zu denen die erfundene Kreuzigung eines Kleinkinds durch die ukrainische Armee gehört –, Regierungspropaganda und neutralen Nachrichtentexten.

Wie gross der Einfluss von Russlands Sprachrohren im Ausland wirklich ist, bleibt oft unklar. Schuld daran sind auch die westlichen Journalisten, die immer wieder unsauber mit Fakten umgehen und ironischerweise zum Teil die Propaganda der Kreml-Organe über die eigene Wirksamkeit unkritisch übernehmen.

So zeigte der «Economist» im Januar auf, dass die Behauptung von RT, der Sender erreiche 550 Millionen Menschen weltweit, völlig übertrieben ist: Zwar können so viele Personen den Sender empfangen, doch Umfragen in den USA zeigen, dass gerade einmal 0,04 Prozent der Amerikaner diesen auch schauen. Auch die Feststellung, RT erreiche über Youtube pro Tag eine Million Betrachter, ist zumindest irreführend. Die meisten seiner erfolgreichsten Videos kauft RT ein, es sind Aufnahmen von Erdbeben, einem Meteoriten in Sibirien, Tsunamis und gruseligen Unfällen. «Jener Clip unter den 15 erfolgreichsten von RT, der einem politischen Inhalt am nächsten kommt, zeigt, wie Wladimir Putin ‹Blueberry Hill› singt», kommentiert der «Economist» ironisch.

Unprofessionell und autoritär

Ein wenig schmeichelhaftes Bild der Zustände bei RT zeichnet auch ein Bericht der unabhängigen englischsprachigen Zeitung «Moscow Times». Das Blatt beschreibt eine unprofessionelle Organisation mit einer hohen Fluktuationsrate, deren Mitarbeiter hauptsächlich aus apolitischen Expats, englischsprachigen Kindern von russischen Diplomaten und Linguisten bestünden. Dazu kämen oft linke Korrespondenten und Kommentatoren im Westen, welche die Gesellschaftsordnung ihrer Länder ablehnten. Dies bedeutet auch, dass die Versuche des Senders, respektierte Figuren als Experten oder Kommentatoren zu gewinnen, wegen des Reputationsrisikos oft zum Scheitern verurteilt sind.

Propaganda in Russland Ein Blogger kämpft gegen unlautere Methoden von Pavel Lokshin, Moskau 6.2.2016, 05:30
Propaganda in Russland Ein Blogger kämpft gegen unlautere Methoden von Pavel Lokshin, Moskau 6.2.2016, 05:30

Wie der Blogger und ehemalige Mitarbeiter der staatlichen russischen Nachrichtenagentur, Alexei Kowaljow, erklärt, verlaufen die Grenzen zwischen Propaganda und Auslandnachrichten bei RT und Sputnik fliessend. Im Zuge der Zentralisierung der russischen News-Organe nach der Krim-Annexion 2014 wurden die Verträge der meisten ehemaligen Agenturjournalisten nicht verlängert. Die neue Chefredaktorin, Margarita Simonjan, nutzte dies auch, um ihre Kritiker loszuwerden. Dadurch verloren die Medien aber auch viele gute Journalisten, was zur unprofessionellen Unternehmenskultur beitrug.

Das Management diktiert die Linie

Dazu kommt laut «Moscow Times» eine Unternehmenskultur mit strengen Hierarchien. Von oben werde die Linie vorgegeben, was auch heisse, dass die Führungsetage Journalisten diktiere, was sie in Kommentaren zu schreiben hätten. Das Management bestimme auch, welche Geschichten, etwa zu Themen wie Korruption, ignoriert würden. Diese Kultur hat einige der bekanntesten Gesichter bei RT dazu gebracht, teilweise spektakulär den Bettel hinzuwerfen: Der bekannteste Fall war jener der Moderatorin Liz Wahl, die aus Protest über Moskaus Rolle im Ukraine-Krieg vor laufender Kamera kündigte.

Auch wenn RT und Sputnik nicht überschätzt werden sollten, verfügen sie in gewissen Regionen dennoch über Einfluss. So ist Sputnik etwa der wichtigste News-Produzent auf dem Balkan. Auch der Multiplikationseffekt, der über soziale Netzwerke und Bots erreicht wird, ist beträchtlich. Der wohl wichtigste Effekt ist jedoch, dass die russischen Auslandkanäle durch ihre systematische Verwischung von Desinformation, Propaganda und News das Vertrauen in die Medien unterminieren: Robert Pszczel, der frühere Leiter des Nato-Informationsbüros in Moskau, brachte dies vor drei Monaten gegenüber der «New York Times» auf den Punkt: «Dem Kreml ist es egal, ob Sie einverstanden sind mit Russlands Politik, es geht darum, Zweifel zu säen. Etwas bleibt immer hängen.»

Russland trifft einen Nerv

Mit dieser Strategie trifft die russische Staatspropaganda offensichtlich einen Nerv bei einem Teil der Bevölkerung, sei es in Deutschland, den USA oder Ostmitteleuropa: Die enttäuschten Hoffnungen in die EU, wirtschaftliche Abstiegsängste und das Misstrauen gegenüber den Behörden in vielen Ländern bieten offene Flanken, in die der Kreml seine Keile treibt, meist opportunistisch und ohne eine kohärente Alternative. Die Frage, wie darauf zu reagieren ist, ohne selbst in Desinformation, Zensur oder Propaganda zu verfallen, wie dies in Osteuropa teilweise bereits geschieht, ist schwierig zu beantworten. Freie, glaubwürdige und seriöse Medien sind aber bestimmt eine der stärksten Waffen.