Von „drei rostigen Booten“, „die wie Fliegen kreisten“ bis „Poroschenko wollte mehr Leichen“ und Poroschenko „wurde zu einen neuen ukrainischen Führer“ [Anspielung auf Adolf Hitler] – der Angriff auf ukrainische Kriegsschiffe in der Straße von Kertsch löste eine aggressive Informationskampagne in den russischen Desinformations-Medien aus. Es werden die üblichen Techniken zur Verbreitung von Fälschungen und Manipulationen verwendet. Zum Beispiel, im Fernsehen sieht man nun dieGeständnisse“ von Kriegsgefangenen, die unter den Druck abgegeben wurden.

Ein anderes Thema war die Einführung des Kriegsrechts – welche auch durch Übertreibungen, mit Verzerrung von Fakten und Bedeutungen, und auch durch Spott verbreitet wurden. StopFake analysierte hier die Schwerpunkte der russischen Desinformations der letzten Tage.

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Zunächst versuchten die russischen Medien, ihren Zuschauern zu erklären, was in der Straße von Kertsch genau passiert ist, warum sich ukrainische Schiffe entschlossen haben, sich den „territorialen Gewässern der Russischen Föderation“ zu nähern, weshalb in der Ukraine das Kriegsrecht verhängt wurde und wie „Kiew illoyale Regionen bestrafen wird“.

Die Provokation der Ukraine“ – so wurde es vom Fernsehsender Zwesda genannt – wurde im Voraus geplant, „die Konsequenzen wurden berechnet“ und „die Berechnungen wurden anderswo durchgeführt“ (im WestenAnmerkung des Autors). Die russischen Medien betonen: Die ukrainischen Kriegsschiffe hätten keinen Antrag gestellt, die Krim-Brücke richtig zu passieren (obwohl sie dies getan hatten), sie hätten die Warnungen der russischen Grenzsoldaten ignoriert und führten angeblich „gefährliche Manöver“ durch. Ein Korrespondent des Senders „Rossija 24“ berichtet:

„Eines der Boote, angeblich die „Berdyansk“, hatte bereits eine Waffe bereit gehalten. Die Waffe richtete sich gegen eines der Boote der russischen Küstenwache. Natürlich konnten die Grenzsoldaten auf eine solche Provokation nur reagieren“.

Ganz im Gegensatz zur Faktenlage: Denn die Audiomitschnitte des ukrainischen Kommandanten des Schiffes „Berdyansk“ belegen, dass dieser sehr wohl die russischen Grenzsoldaten informierte: Der Funkspruch des ukrainischen Kommandanten war:

„Es gibt keine Waffen, es gibt keine bewaffnete Aggression, wir verwenden keine Waffen“.

Schauen wir uns die weitere Berichterstattung an: Diese ukrainische Provokation hat natürlich Petro Poroschenko persönlich“ zu verantworten und initiiert. Und der Zitat: „herrschende ukrainische Clan“ versuche, den Vorfall in der Straße von Kertsch zu nutzen, um mehrere Probleme auf einmal zu lösen – einerseits „um zusätzliche Unterstützung von seiner Wählerschaft“ und andererseits auch um Unterstützung aus dem Westen zu erhalten“ oder die Präsidentschaftswahlen insgesamt abzusagen – schreibt Sergej Ilyin von Radio Sputnik. Aus Lesart von Sputnik könnte das verhängte Kriegsrecht dafür misstraut werden.

 

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Nach der Festnahme ukrainischer Militärs hat die russische Desinformation damit begonnen fabrizierte Beweise zu präsentieren, um ihre eigene Propaganda zu beweisen: Dies waren vor allem die vor laufender Kamera zur Schau gestellten ukrainische Gefangene, als Beweis für ihre Thesen. Man sieht in den Videos sehr deutlich, dass die Gefangenen von unterhalb oder seitlich der Kameras ihre Geständnisse“ ablesen. Zur gleichen Zeit gaben die Seestreitkräfte der ukrainischen Armee eine Erklärung ab, dass sie die sogenannte Zeugnisse der [gefangenen] ukrainischen Militärs verstehen, weil die Arbeitsmethoden der russischen Sonderdienste für niemanden ein Geheimnis sind“.

Gleichzeitig ist auf dem veröffentlichten Video der befragten ukrainischen Matrosen klar, dass einer der Gefangenen beispielsweise die „Zeugenaussage“ schlicht vorlas und zudem behauptete, „er habe die Anfragen der Russischen Föderation bewusst ignoriert“. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB berichtete auch, dass die ukrainischen Seeleute von „Spezialeinheiten“, Vertretern des ukrainischen Geheimdienst SBU, begleitet wurden, die „vor Ort die Verletzung der Staatsgrenze Russlands anordneten“. Und die Nachrichtensendung Vesti ging sogar so weit zu behaupten, dass eine „handschriftliche Zusammenfassung“ gefunden wurde, die „bezeugt“, dass „die Boote, ohne die Aufmerksamkeit der russischen Grenzsoldaten auf sich zu lenken, sich der Straße von Kertsch nähern sollten und sie durchfahren sollten“.

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Zusätzlich zu den gefälschten Befragungen, haben russische Medien beschlossen, die Tatsachen des Beschusses ukrainischer Boote zu verbergen. So sieht man in dem Video-Beitrag des Fernsehsenders „Rossija 24“, dass Videoeffekten verwendet wurden, um bestimmte Stellen auf Schiffen digital zu verwischen.

Später veröffentlichte der ukrainische Militärjournalist Vlad Voloshin ein Foto des Berdyansk-Bootes mit ein Loch unter dem Deck. „So haben sie unsere Boote „friedlich“ gezwungen, sich zu stoppen… Das Feuer führte zur Niederlage des Personals direkt am Kabine und nicht an den Motoren…“, schrieb der Journalist.

In den russischen Medien sprachen sie nicht über den Beschuss der Schiffe. Zudem verwendeten die russischen Medien statt des korrekten Wortes „Rammen“ das lautmalerilische Wort „Auftürmung“ („Навал“). Die Medien verniedlichen und verklausulieren hier eindeutig das Rammen des Schiffes. Das besagt Video selbst, in dem Russen mit obszönem Vokabular das viel kleinere ukrainischen Schlepperboot rammen, wurde im russischen Fernsehen ohne Ton gezeigt und endete auch, bevor das eigentliche Rammen des Schleppers begann. Die russischen Grenzwächter waren „gezwungen“, auf Ukrainer zu schießen, „und das, nur um die Hooligans zu stoppen“.

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Die Verhängung des Kriegsrechts in der Ukraine war auch in russischen Medien ein sehr präsentes Thema. Vor der Verabschiedung berichteten die russischen Medien, der Zweck der Einführung sei der Wunsch von Petro Poroshenko gewesen, die anstehenden Präsidentschaftswahlen dadurch zu gewinnen, die Umfragewerte für ihn zu erhöhen und die Macht in der Ukraine gewaltsam zu behalten. Zur gleichen Zeit werde das Kriegsrecht, der russischen Desinformation zufolge, eine Medien-Zensur einführen, Konkurrenten für das ukrainische Präsidentenamt neutralisieren, und Poroschenko „wird zum neuen ukrainischen Führer“ [in Anspielung an Adolf Hitler]. Obwohl die Einschränkungen, von denen die russischen Journalisten Angst haben, nur im Fall von Gefahren für die nationale Sicherheit angewandt werden. Tatsächlich erweitert das Gesetz die Befugnisse der Armee und der ukrainischen Sicherheitskräfte.

Er will  [damit, SF] die Probleme seines hohen Negativratings lösen. Um die Wahl zu gewinnen, wurde eine solche provokative Entscheidung getroffen, die zur Ankündigung der Absicht führte, das Kriegsrecht für 60 Tage zu verhängen. Dies zeigt die Entscheidung von Petro Poroschenko, mit Gewalt noch einmal die Präsidentschaft zu sichern“, – kommentiert, wie die andere russische „Experten“, der Politologe Andrej Koshkin bei RIA Novosti.

Nach der Verabschiedung des Kriegsrechts und der Bestätigung, dass die Wahlen definitiv am 31. März 2019 noch stattfinden werden, änderten sich dann die Akzente in der Berichterstattung. Russische Medien versuchten zu erklären, dass der Westen Kiew befohlen habe“, das Kriegsrecht auf 30 Tage zu reduzieren.

In Bezug auf das Kriegsrecht ist klar, dass 30 Tage nur die ersten 30 Tage sind. Als nächstes kommt die zweite, dritte, vierte [Periode, Anm. SF]. So viel wie Poroschenko braucht, um zu sehen, dass das Pendel in seine Richtung schwingen könnte, und gutherzige und selbstgefällige ukrainische Wähler werden für ihn stimmen.“, sagt Yevgeny Popov, Moderator des Pro-Kreml Nachrichtenprogramm  „60 Minuten.

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Eine andere gefährliche Erzählung, die sich nach der Verabschiedung des Kriegsrechts verbreitete, konzentrierte sich auf die Regionen, in denen das Kriegsrecht gelten wird. Einige russische Medien erklären, dass diese Gebiete aus einem bestimmten Grund und mit dem Ziel ausgewählt wurden, um Zitat: „untreue Regionen zu bestrafen“.

Das Kriegsrecht wird genau in den Regionen des Landes eingeführt, in denen die russische Sprache am weitesten verbreitet ist, in denen es die meisten Suchanfragen im Zusammenhang mit Russland gab und in denen Poroschenkos Wahlergebnissee bei den vorangegangenen Wahlen am niedrigsten waren. Damit schließt Poroschenko diese zehn Oblaste, mit den am meisten untreuen Wählern, aus dem Wahlprozess aus.“, sagt die Komsomolskaja Prawda.

Die Webseite Tsargrad ging sogar noch weiter und sagte, dass die Regionen ausgewählt wurden, in denen sie Bandera, den prominentesten ukrainischen Nationalist des 20. Jahrhunderts, nicht mögen. Das Kriegsrecht selbst „bringt“ notwendigerweise die „Konfiszierung von Eigentum“, „Ausgangssperren“, ein „Machtchaos“, „wird die Inhaftierung und Abschiebung von Bürgern Russlands ermöglichen“, „noch mehr als zuvor wird das Einreiseverfahren in die Ukraine verschärft“.

Tatsächlich werden im verabschiedeten Dekret aber nur die Maßnahmen angegeben, die für die schnelle Mobilisierung aller Ressourcen erforderlich sind – nämlichmenschliche, bewaffnete und finanzielle“. Petro Poroshenko hat gesondert darauf hingewiesen, dass „Maßnahmen zur Einschränkung der Rechte und Freiheiten der Bürger und zur Einführung der Zensur“ nicht vorgesehen sind. Der ukrainische Präsident plant nicht, eine Ausgangssperre zu verhängen, ebenso wie eine Konfiszierung von Eigentum. Das Kriegsrecht wird den Grenzübertritt für Ukrainer nicht beeinträchtigen, aber bestimmte Kategorien von Russen können Beschränkungen unterliegen. Das Kriegsrecht wird auch das visafreie Reisen nicht beeinflussen.