Evgeny Zavadskiy weiß, wie die russische Informationspolitik von innen funktioniert. Er arbeitete sechs Jahre als Journalist für den russischen Sender „Perviy Kanal“, für die Nachrichtensendung Programma , Vremia‘ “. Diese Zeit umfasst auch die beiden „heißesten“ und aggressivsten Jahre der Informationskonfrontation mit der Ukraine: Nach den Ereignissen auf dem Maidan, der Annexion der Krim sowie während der aktivsten Phase des Krieges im Donbas. Ende 2015 verließ er den „Perviy Kanal“ und zog Tallinn, wo er seit zwei Jahren für den estnischen russischsprachigen Fernsehsender ETV+ arbeitet. Mit Evgeny Zavadskiy haben wir auf einer Konferenz in der litauischen Hauptstadt Vilnius gesprochen. Er stimmt sofort einem Interview zu und verspricht, alles zu erzählen, was er kann. Er gibt offen zu: Solch ein Interview – über die „innere Küche“ des führenden russischen TV-Senders, über seine Informationsstrategie gegenüber der Ukraine – hat noch niemand mit ihm geführt.

Dies ist der 2.Teil des Interviews mit Evgeny Zavadskiy, den ersten Teil des Interviews lesen Sie hier.


G.S-G: Wenn Sie dies schon selbst ansprechen: Haben denn die Journalisten verstanden, dass dies die Regeln eines „fremden Spiels“ waren. Oder haben Sie eine solche Position für sich eingenommen? Und über einen berühmt-berüchtigten Charakter, sagen wir einen Dmitriy Kiselyov: Wissen Sie, ob er das, was er in seinen Sendungen macht und was er von gibt, nur wegen des Geldes macht oder glaubt er wirklich an das was er sagt?

E.Z.: Was Kiselyov angeht. Von Kollegen, die ihn persönlich kannten und denen man vertrauen sollte, weiß ich, dass dies nur eine äußerst zynische Person ist, für die die wertvollste Sache im Leben das Geld ist. Er erkannte sehr schnell, wie er das Geld sehr gut, sehr lange und in großer Anzahl verdienen konnte. Er hat keinen wahren Glauben an das, was er sagt. Dies hat er wirklich nicht. Für Kiselyov ist alles nur Business, Blutgeld, aber es ist ihm egal.

Was meine ehemaligen Kollegen anbelangt, sie sind alle vernünftige Menschen, die Familien und Kinder haben. Sie sind nicht verrückt. Sagen wir, ein Paar könnten schon verrückt sein, aber in der Tat… sie spielten es eher. Im Großen und Ganzen sind es einfache Menschen, die geistig gesund sind und die einfach verstanden haben, dass sie jetzt – selbst wenn sie vom Fernsehsender weggehen wollen – fast nirgendwo hin gehen können.

Aber viele junge Menschen sind vom „Perviy Kanal“ weggegangen, insbesondere von der internationalen Nachrichtenabteilung, einschließlich ich selbst. Für junge Leute ist es leichter wegzugehen, sie können Fremdsprachen. Was ältere Journalisten anbelangt, die seit mehr als zehn Jahren bei „Perviy“ gearbeitet haben … dort nimmt der Arbeitsmarkt rapide ab. Bessere Bedingungen als beim „Perviy Kanal“ sind sehr schwierig zu finden, es ist bequem und toll, da zu arbeiten. Plus zu einem bestimmten Zeitpunkt, Sie sollen das verstehen, waren die Belastungen riesig: aus einer halben Stunde Nachrichtenprogramm „Vremia“ mussten wir fast ein halbes Jahr zwei Stunden Programm machen. Außerdem hatten wir ein sehr professionelles, sehr kleines, engmaschiges Team. Wie kann man in dieser Situation kündigen und seine Kollegen im Stich lassen? Wohin soll man gehen? „Vtoroy“, „NTV“? Wohin sonst soll ich mit meinen Fähigkeiten gehen? … Aber muss man doch irgendwie Geld verdienen, verdammt…. Nun, man muss irgendwie überleben! Leider sind die Menschen größtenteils Geiseln. Ich kannte Kollegen, die mit mir einen Kündigungsantrag geschrieben haben, und dann? Im nächsten Moment zerreißen sie diesen Antrag doch.

G.S-G: Ende 2015 sind Sie selbst nach Estland, nach Tallinn gezogen. Haben Sie seitdem irgendwelche unangenehme Bemerkungen oder Kommentare aus Russland bekommen? Oder sogar Drohungen?

E.Z.: Nein. Jeder versteht alles. Ich bin auch ohne Skandal gegangen. Sie sollen nicht denken, dass da Leute nichts verstehen, verrückt sind oder Probleme im Kopf haben. Probleme im Kopf haben sie nicht, sie werden einfach in eine solche Situation versetzt, dass man es entweder so macht, wie es einem gesagt wurde, oder man sofort zu einem Nichts wird. Und je höher die Position eines Menschen ist, desto ernster wirkt es auf ihn ein.

Ich sollte das nicht sagen, aber trotzdem, „Perviy Kanal“ hat Kiselyovs Boden von „Journalismus“ nicht erreicht. Wir haben auch nicht darüber gesprochen, dass Russland jemanden in eine radioaktive Aschewolke verwandeln wird [wie Kiselyov einmal den Westen in einen Beitrag bedrohte, Anm.]. Solche Verrücktheiten wurden nicht extra von Menschen verlangt, es wurde im Prinzip nicht gefördert. Das heißt, einerseits war die Arbeit subtiler, andererseits hörte ich von meinem Chef: „Es ist klar, was wir tun, aber lasst uns wenigstens irgendwie versuchen, Journalisten zu bleiben“. Es war so. Es ist, als würde man in ein brennendes Haus reingehen und dort ein Zimmer löschen.

G.S-G: Um ehrlich zu sagen, klingt das für mich ungewöhnlich, vielleicht, weil es in der Ukraine ein bisschen anders ist, dass Journalisten alles verstehen und trotzdem für die Zusammenarbeit, ein Konsens besteht. Wer kann denn dann überhaupt etwas im Land ändern?

E.Z.: Es ist eine Tradition. Unser Sender [Estnischer Fernsehsender ETV+, Anm. StopFake] ist zwei Jahre alt. „Perviy Kanal“ und besonders das Programm „Vremia“ ist Jahrzehnte alt. Die Traditionen wurden über Jahrzehnte weiterentwickelt. Es gibt da ein solches Verständnis, dass sie uns darum bitten Unsinn zu produzieren, dann werden wir zwar die Augen zu machen, aber am Ende wird es trotzdem gemacht. Das bleibt vielleicht noch von der alten Schule.

Und nochmal: Lassen Sie uns nüchtern analysieren, und lassen sie uns moralische Kategorien oder Argumentation wie gut/schlecht ignorieren. Verstehen Sie: Fernsehen und eine zweistündige Nachrichtensendung statt einer halben Stunde – es ist, wie im Weltraum zu sein: wenn mindestens ein doppelter Knoten ihres Verbindungsseils im Raum kaputt geht… Das ist eine kolossale Herausforderung für das Team, welches Adrenalin gab, ein Gefühl wie zu fliegen, sogar der Macht, der Begeisterung von sich selbst, von der geleisteten Arbeit. Und wenn Sie alle Vor- und Nachteile entfernen, verdammt… wir haben mit dem gleichen Team zwei Stunden des Programms „Vremia“ statt einer halben Stunde produziert. Und wir haben es so gemacht, dass es ein Blockbuster war. Das Publikum schaute unser Nachrichtenprogramm wie eine Show an.
Die Leute, [die da gearbeitet haben, Anm.] haben [damals] alles verstanden. Und jetzt verstehen Sie es. Das ist natürlich alles monströs. Viele verzeihen sich selbst nicht dafür, und sie werden sich auch nicht verzeihen. Aber ich möchte wirklich, dass die Ukrainer verstehen, dass sie keine Tiere und keine Monster sind. Sie sind auch gewöhnliche Menschen, die gerade unter solch monströsen Umständen gefangen sind. Nur einige konnten sich losreißen.

G.S-G: Viele erwarten jedoch von den Russen wenigstens einen Hinweis auf Demokratie, zumindest einen Geist der Demokratie und der Zivilgesellschaft.

E.Z.: Die Hoffnung auf eine solche Entwicklung von Ereignissen kann nur dann erscheinen, wenn zumindest eine ernsthafte Struktur mit Perspektive auf ein längeres Leben erscheinen wird. Zum Beispiel, kann es ein Fernsehkanal sein wird, der nicht vom Staat, sondern zumindest von Oligarchen finanziert wird, wie es beispielsweise noch nicht so lange her war. Und selbst wenn diese Oligarchen mit ihren Zielen, mit ihren Aufgaben sein werden, aber so wird es zumindest ein Geist der Unabhängigkeit geben, Unabhängigkeit zumindest vom Kreml. Ich denke, dass dann sehr viele talentierte Leute eine Entscheidung dafür treffen würden.

G.S-G: Denken Sie über eine solche Möglichkeit nach, dass Sie eines Tages in Ihr Land zurückkehren würden und dort weiter arbeiten würden? Und haben Sie über Zeitpunkte nachgedacht, wann dies passieren könnte?

E.Z.: Über diesen Zeitpunkt kann man noch nichts sagen. Wenn Sie etwas über Termine wissen wollen, sollen Sie zu einer Wahrsagerin gehen. Aber es ist offensichtlich, dass dieses System nicht lange existieren wird. Und je länger es existiert, desto mehr nähert es sich dem Zeitpunkt seiner eigenen kritischen Masse an. Und dann kann es explodieren. Und je verquerer die Schraubenmutter sich weiter drehen wird, desto stärker wird es sie selbst treffen. Denn dieses System ist offensichtlich nicht als Land, als Gesellschaft lebensfähig. Eines Tages wird das alles zusammenbrechen und sich verändern, aber die Frage ist zu welchem Preis…. wer wird davon betroffen sein und wann wird es passieren. Aber natürlich möchte ich glauben… Als Journalist habe ich gelernt, Krieg zu machen, jetzt will ich lernen, wie man komplexere Dinge macht: Krieg zu verhindern. Es ist interessanter. Die Gehirne eines instabilen Publikums mit Propaganda zu füllen, jemandem Geld zu geben – dies ist eigentlich sehr einfach. Diese sind bereits angetriebene Zügel. Einige grundlegend neue Schemata waren und wurden hier nicht erfunden, wie es scheint, und es wird vielleicht nur eine kleine Änderung durch das soziale Netzwerk geben. Alle Prozesse sind grundsätzlich verständlich. Ich habe sie gesehen, in gewissem Maße an ihnen teilgenommen. Jetzt möchte ich lernen, wie man es verhindern kann. Dies ist wichtiger.

Doch ein verrücktes Russland aus der Jungsteinzeit wird niemandem, einschließlich Russen, und noch mehr den Ukrainer, nichts Gutes bringen.


Dies war der 2.Teil des Interviews mit Evgeny Zavadskiy, den ersten Teil des Interviews lesen Sie hier.