Die Welt und das ifo Institut für Wirtschaftsforschung, auf das sich das Papier bezieht, gehen nicht davon aus, dass die Geflüchteten aus der Ukraine eine Krise des deutschen Bildungssystems verursachen. Die Autoren sind vielmehr besorgt, dass die derzeitige Krise die Anpassungsfähigkeit der ukrainischen Schulkinder beeinträchtigen könnte. 

Einige russische Medien sowie Telegram-Kanäle zitierten die Welt mit der Aussage, dass Deutschland ,,aufgrund des starken Zustroms ukrainischer Flüchtlinge“ angeblich einen ,,akuten Lehrermangel“ habe. 

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In einigen anonymen Telegram-Kanälen wurde behauptet, dass Ukrainer, die in Deutschland Asyl suchen, nicht nur eine katastrophale Belastung für das Bildungssystem darstellen, sondern sich auch ,,trotzig“ verhalten und ,,Regeln nicht befolgen“. Dies geht angeblich aus den Kommentaren unter der Veröffentlichung auf der Welt-Website hervor.

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In der Tat haben die russischen Pro-Kreml-Medien den Sinn des Welt-Artikels ,,Gute Chancen für Integration ukrainischer Kinder – doch der Lehrermangel wird zur Gefahr“ stark entstellt. Im Originaltext steht nicht, dass die Geflüchteten aus der Ukraine die Krise des Bildungssystems in Deutschland ,,verschärfen“. Kevin Ciulina, der Autor des Artikels, schreibt sogar, dass ukrainische Kinder alle Chancen haben, sich erfolgreich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, dass aber das Vorkriegsproblem des Lehrermangels zu einem Hindernis für das Erlernen der deutschen Sprache werden kann. 

Insgesamt sind die Chancen auf eine gelungene Integration ukrainischer Schüler in das deutsche Bildungssystem stehen gut. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Die von Kevin Ciulina zitierte Studie stützt sich auf einen Pisa-Vergleich in der Ukraine und anderen europäischen Ländern. Die Ergebnisse zeigen, dass das ukrainische Bildungssystem als ,,durchschnittlich“ eingestuft wird, wobei der Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine besonders in den Fächern Mathematik und Lesen auffällt. Der Unterschied kann auch durch die humanitär-psychologische Belastung der Flüchtlinge und die kriegsbedingte Unterbrechung des Lernens verschärft werden. Die Autoren der Studie, die von Welt zitiert werden, schlagen vor, die Kinder ,,durch Bildungsmaßnahmen wie adäquate Bildungsangebote, Deutschkurse und Unterstützung bei der Erlangung notwendiger Schulabschlüsse“ zu fördern. Wie Ciulina schreibt, könnte jedoch ein seit Jahren bestehender Lehrermangel ukrainische Schüler daran hindern, die deutsche Sprache zu beherrschen und sich an das neue Bildungssystem anzupassen. 

Mit anderen Worten: Welt und das ifo Institut für Wirtschaftsforschung, auf das sich das Papier bezieht, sagen nicht, dass Geflüchtete aus der Ukraine eine Krise des deutschen Bildungssystems hervorrufen. Im Gegenteil, die Autoren sind besorgt, dass die derzeitige Krise die Anpassung der ukrainischen Schüler beeinträchtigen könnte. 

Nach Angaben der Deutschen Welle befindet sich das deutsche Bildungssystem seit mehr als 10 Jahren in einer Krise, vor allem wegen des Lehrermangels. Dies wurde durch den Zustrom von Migranten in den Jahren 2015-2016 und die steigende Geburtenrate des Landes beeinflusst. Darüber hinaus sind viele Lehrer in den Ruhestand getreten oder haben wegen der gestiegenen Arbeitsbelastung gekündigt. 

Die russische Propaganda nutzt regelmäßig die Möglichkeit der Meinungsbeeinflussung, indem sie einzelne Kommentare als allgemeine Meinung zu einem Thema darstellt. In diesem Fall wandte das Agitprop die gleiche Methode an. In der Tat kann man unter der Publikation Welt einzelne Kommentare finden, die sich negativ auf die ukrainischen Schüler beziehen. Diese selektiven Kommentare können jedoch nicht als Ausdruck der tatsächlichen Situation angesehen werden. Laut einer Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung glauben 92 Prozent der Lehrer, dass die Ankunft von Flüchtlingskindern aus der Ukraine kein ernstes Problem darstellt. Das Hauptproblem für die Lehrer war das Online-Lernen angesichts der Coronavirus-Pandemie, die sich auch negativ auf die Qualität der Kenntnisse der Schüler sowie auf ihre Motivation und ihr Verhalten ausgewirkt hat.

StopFake hat zuvor falsche Berichte widerlegt, wonach Großbritannien angeblich bereits entschieden habe, wann es ukrainische Flüchtlinge ,,loswerden“ werde.