Die Website The Federalist veröffentlichte eine Reihe von manipulativen Thesen, die letztlich eine Propagandaerzählung über den Bürgerkrieg in der Ukraine konstruieren. Laut einer Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie vom Mai 2022 haben nur 1 % der Ukrainer eine ,,überwiegend pro-russische Haltung“ (Umfrage zur Wahrnehmung des russisch-ukrainischen Krieges durch ukrainische Bürger). Eine weitere Umfrage, die ebenfalls im Mai durchgeführt wurde, ergab, dass nur 2 % der ukrainischen Bürger eine gute Einstellung zu Russland haben, während 92 % eine schlechte Einstellung haben. 

Russische Massenmedien zitierten das US-Magazin The Federalist mit der Aussage, dass ein großer Teil der ukrainischen Bürger angeblich wegen der ,,Gräueltaten des Kyjiwer Regimes“ nach Russland auswandern wolle. Dies ist angeblich darauf zurückzuführen, dass ,,viele Einwohner des Landes eine herzliche Einstellung zu Russland haben und ihm auf jede erdenkliche Weise helfen.“

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Auf der Website des konservativen Internetmagazins The Federalist, das von russischen Medien zitiert wird, findet sich ein Artikel mit dem Titel As Ukrainians Defect To Russia, We Should Ask Whether Our Billions Are Saving Democracy Or Aiding Corruption. Der Artikel wurde von Jonathan Tobin, dem Chefredakteur von The Jewish News Syndicate, verfasst. Nur wenige Veröffentlichungen dieses Autors über die Ukraine sind online zu finden – die meisten davon sind der Kritik an der ukrainischen Regierung und Problemen im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine gewidmet.

Zudem der Hinweis, dass das Internetmagazins The Federalist wiederholt beschuldigt wurde, während der Coronavirus-Pandemie sowie während der US-Präsidentschaftswahlen 2020 unwahre Informationen zu verbreiten. 

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Zum Inhalt des Artikels: Die Veröffentlichung in The Federalist besteht aus einer Reihe von manipulativen Thesen, die am Ende ein Propagandanarrativ über den Bürgerkrieg in der Ukraine und die Unzweckmäßigkeit militärischer Hilfe für die ukrainischen Behörden konstruieren, da die finanzielle Hilfe, die die USA zur Unterstützung der Ukraine bereitgestellt haben, angeblich ohnehin von den ,,korrupten Kyjiwer Behörden“ gestohlen wird; die meisten ukrainischen Bürger sympathisieren mit Russland und helfen Russland – angeblich werden sie deshalb von den ukrainsichen Behörden verfolgt.

Zur Untermauerung seiner Schlussfolgerungen führt der Autor der Veröffentlichung in The Federalist mehrere ,,Fakten“ an. Tobin bezieht sich insbesondere auf eine Veröffentlichung in der New York Times über die Entlassung des Leiters des ukrainischen Geheimdienstes, Iwan Bakanow, und der Generalstaatsanwältin der Ukraine, Iryna Venediktowa. Tobin schreibt, dass ,,diese Geschichte der ukrainischen Präsident begraben hat“.

,,A Nation of Spy-Catchers: Fear of Saboteurs Has Ukrainians on Edge“ ist ein weiterer Artikel der New York Times, den Jonathan Tobin zitiert. Der Artikel in der New York Times beschreibt die weit verbreitete Sorge über die Aktivitäten von Sabotagegruppen in der Ukraine. Die Autoren der Publikation berufen sich auf Daten der Patrouillenpolizei für den Monat März, wonach mehr als 200.000 Meldungen über vermeintlich verdächtige Aktivitäten über die eine App eingegangen sind. In einem weiteren Artikel der New York Times berichten mehrere Befragte, wie sie sich wegen des Verdachts auf Sabotageakte einer Polizeikontrolle unterziehen mussten. 

Diese Tatsache, so The Federalist, erkläre angeblich ,,teilweise die große Zahl ukrainischer Bürger, die den Russen helfen“. Der Staat habe ,,ein böses Auge auf ukrainische Bürger geworfen – unabhängig davon, ob sie mit Moskau sympathisieren oder nicht“ -, so dass ,,viele ukrainische Beamte, einschließlich der Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, auf dem von Russland besetzten Gebiet geblieben sind und nun für Moskau arbeiten“.

In den Veröffentlichungen der New York Times, auf die sich Tobin bezieht, finden wir solche Schlussfolgerungen nicht. In den Texten gibt es keine Daten, auf deren Grundlage behauptet werden kann, dass ,,ein wesentlicher Teil der ukrainischen Bevölkerung“ Russland unterstützt oder mit ihm sympathisiert. Darüber hinaus finden sich in den NYT-Artikeln auch keine Informationen über Repressalien, die angeblich ukrainische Bürger zur Unterstützung Russlands ermutigen. Die Information, dass Ukrainer im März massenhaft verdächtige subversive Aktivitäten an die eine App meldeten, kann erst recht nicht als Beleg für die These einer massenhaften Unterstützung der Aktionen Russlands durch die Ukrainer dienen. Da es sich um die Summe der nicht verifizierten Meldungen ukrainischer Bürger über verdächtige Aktivitäten handelt, bedeutet die Zahl von 200.000 Meldungen nicht, dass alle verifizierten Personen tatsächlich Saboteure waren oder dass sie nach der Verifizierung verbittert wurden und Russland unterstützten.  

Was die Strafverfolgungsbehörden betrifft, so zitiert die The New York Times in ihrem Artikel über personelle Veränderungen im Sicherheits- und Strafverfolgungssektor, bei der von 651 Fällen von Verrat an Ordnungskräften ausgegangen wird spricht. ,,Eine solche Reihe von Verbrechen gegen die Grundlagen der nationalen Sicherheit des Staates und die aufgedeckten Verbindungen zwischen Mitarbeitern der ukrainischen Sicherheitsbehörden und den russischen Spezialdiensten werfen sehr ernste Fragen für die zuständige Führung auf“, zitierte die Publikation den ukrainischen Präsidenten mit den Worten. 

Die Zahl der Strafverfolgungen scheint zwar beeindruckend zu sein, doch sind diese Daten ohne den entsprechenden Kontext irreführend. Jonathan Tobin ignoriert die Tatsache, dass es 27.000 Mitglieder des Sicherheitsdienstes der Ukraine und mehr als 134.000 Mitglieder der Nationalen Polizei der Ukraine gibt. Ende Mai erklärte der Erste Stellvertretende Innenminister Jewhen Jenin, dass die Zahl der Kollaborateure in den Reihen der Strafverfolgungsbehörden kaum 1 % betrage

Der Artikel der New York Times befasst sich mit der Bekämpfung von Sabotagegruppen und der allgemeinen Panik über deren Aktivitäten in den ersten Kriegsmonaten. Auch hier ignoriert der Autor von The Federalist die Tatsache, dass Russland vor der groß angelegten Invasion jahrelang ein umfangreiches Netz von Agenten, auch unter ukrainischen Strafverfolgungsbeamten, aufgebaut hatte. Die meisten der Personen, die der Zusammenarbeit beschuldigt werden, wurden wahrscheinlich lange vor dem 24. Februar rekrutiert.  

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Am Ende seines Textes kommt Tobin zu dem Schluss, dass es sich bei den Ereignissen in der Ukraine ,,um einen Bürgerkrieg“ handelt. ,,Die Fähigkeit der Russen, so viele Ukrainer dazu zu bringen, mit ihrem Angriff auf die Ukraine zu sympathisieren oder ihn zu unterstützen, zeigt, dass es sich zum Teil um einen Bürgerkrieg und zum Teil um eine ausländische Invasion handelt“, schreibt der Autor. 

Das Narrativ des Bürgerkriegs wird von der Kreml-Propaganda aktiv bemüht, die seit 2014 die Geschehnisse im Donbass als ,,Bürgerkrieg“ und ,,Völkermord an russischsprachigen Menschen“ bezeichnet. StopFake hat diese Berichte in seinen Artikeln wiederholt widerlegt: Fake: Mehrheit der Ukrainer hält Donbas-Konflikt für einen Bürgerkrieg, Fake: UN-Gericht entscheidet, dass es einen Bürgerkrieg in der Ukraine gibt, Fälschungen eines italienischen Fernsehsenders über den Krieg im Donbas.

Laut einer Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) vom Mai 2022 haben nur 1 % der Ukrainer eine ,,überwiegend pro-russische Haltung“. Eine weitere KIIS-Umfrage, die ebenfalls im Mai 2022 durchgeführt wurde, ergab, dass nur 2 % der ukrainischen Bürger eine gute Einstellung zu Russland haben, während 92 % eine schlechte Einstellung haben. Die Ukrainer sind sich auch in der Frage einig, dem Aggressor keine Zugeständnisse zu machen. Laut einer KIIS-Umfrage, die zwischen dem 6. und 20. Juli durchgeführt wurde, sind 84 % der Ukrainer nicht zu territorialen Zugeständnissen bereit, um den Krieg zu beenden.